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Beitrag vom 22.09.2008
Der Baader Meinhof Komplex
Anna-Lena Berscheid
Bernd Eichingers Produktion über die Geschichte der Roten Armee Fraktion geht im kommenden Jahr für Deutschland um den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film ins Rennen.
Große Kinofilme über deutsche Geschichte sind in den letzten Jahren populär geworden, auch international konnten Werke über das Dritte Reich ("Der Untergang" und "Sophie Scholl) oder über die DDR ("Das Leben der Anderen") punkten. Nun ist es der Deutsche Herbst, der nach den Plänen von Produzent Bernd Eichinger für volle Kinosäle sorgen soll. Als Grundlage für sein Drehbuch wurde das Standardwerk über die Rote Armee Fraktion herangezogen: "Der Baader Meinhof Komplex" des ehemaligen "Spiegel"-Chefredakteurs Stefan Aust, der die Anfänge der RAF aus nächster Nähe miterlebt hatte und im Drama um die Rettung der Kinder Ulrike Meinhofs eine zentrale Rolle spielte.
Ulrike Meinhof (Martina Gedeck), Andreas Baader (Moritz Bleibtreu) und Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) bilden als politische wie agitatorische Köpfe der RAF den Mittelpunkt des Films. Besonderes Augenmerk legt der Regisseur dabei auf die Rolle der Ulrike Meinhof als theoretischer "Kopf" der Gruppe. Auszüge ihrer Werke werden immer wieder aus dem Off vorgetragen. Hier wird deutlich, wie sorgfältig sich Martina Gedeck auf ihre Rolle vorbereitet hat: Den Tonfall Ulrike Meinhofs, ihre Artikulation, die Bedachtheit, mit der sie Dinge aussprach, imitiert sie nahezu perfekt.
Einen weiteren Fokus legt der Film auf die Ermittlungsarbeit des BKA-Chefs Horst Herold (Bruno Ganz), der zum Einen versucht, die untergetauchten TerroristInnen dingfest zu machen, zum Anderen aber auch Verständnis für die verzweifelte Lage der Gesuchten aufbringen kann. Seine Aktion "Wasserschlag" war es dann auch, die zur Verhaftung der ersten Generation der RAF führte.
Der Film beginnt einige Jahre vor der Gründung der "Baader Meinhof Bande" mit der dramatischen Darstellung der Ereignisse vom 2. Juni 1967, als der Student Benno Ohnesorg im Zuge der eskalierenden Demonstration gegen den Schah-Besuch in West-Berlin von einem Polizisten erschossen wird. Bereits diese Szene soll das Motiv der späteren Terroristinnen deutlich machen: Es geht um den bewaffneten Widerstand gegen die offenbar willkürlich agierende Staatsgewalt, die auch vor Mord nicht Halt macht. Auffällig wird schon an dieser Stelle, dass der Film Gewalt in einer schonungslosen Brutalität zeigt – und zwar sowohl von terroristischer Seite als auch von Seiten der Polizei. Was folgt ist die hinlänglich bekannte Geschichte der RAF bis zum vermeintlichen Selbstmord der ProtagonistInnen in ihren Gefängniszellen in Stammheim.
Auffällig am "Baader Meinhof Komplex" ist die Liebe zum Detail. Diese schlägt sich zum Einen darin nieder, dass in 2 ½ Filmstunden alle wichtigen Ereignisse zwischen 1967 und 1977 angemessen Erwähnung finden. Zum Anderen wurde in der Inszenierung nichts dem Zufall überlassen, um möglichst nah an die tatsächlichen Ereignisse heranzukommen: Selbst die abgegebenen Schüsse entsprechen in jeder Szene genau den Polizeiakten. Geschickt wurde auch authentisches Pressematerial eingebaut, welches die nationale Tragweite der Geschehnisse verdeutlicht. Störend wirkt sich hierbei jedoch oftmals die ausgewählte Musik aus, die in ihrer Bombastik eher an Hollywoodproduktionen denn an die Erzählung wahrer Begebenheiten erinnert.
Zu den HauptdarstellerInnen: Martina Gedeck erregte im In- und Ausland Aufsehen mit ihrer Rolle in dem Oscarprämierten Drama "Das Leben der Anderen". Zuletzt wurde sie mit dem FIPA d´honneur 2008 in Biarritz ausgezeichnet.
Moritz Bleibtreu, 1971 in München geboren und absolvierte seine Schauspielausbildung in Rom, Paris und New York. Kinoerfolge feierte er u.a. mit Tom Tykwers "Lola Rennt" und Oliver Hirschbiegels "Das Experiment".
Johanna Wokalek, in Freiburg im Breisgau geboren, absolvierte nach dem Abitur eine Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. 1998, noch während des Studiums, spielte sie bereits ihre erste Kinorolle in Max Färberböcks "Aimée und Jaguar". 2005 spielte sie die weibliche Hauptrolle in Til Schweigers romantischer Komödie "Barfuss".
Zum Regisseur: Uli Edel studierte Germanistik und Theaterwissenschaft und war Mitglied der Theatergruppe "LaMaMa", bevor er an die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film wechselte. Dort drehte er seine ersten Kurzfilme. Sein Kommilitone und Freund Bernd Eichinger kümmerte sich dabei um die Produktion. 1981 realisierte Uli Edel als Regisseur, gemeinsam mit Bernd Eichinger als Produzent, "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Seit 1990 lebt Uli Edel in Los Angeles, wo er mit großem Erfolg als Regisseur von Event Movies und Mini-Serien für das amerikanische Fernsehen gearbeitet hat.
Zum Produzenten und Drehbuchautoren: Nach dem Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, als Bernd Eichinger 1973 seinen Regieabschluss machte, gründete er 1974 seine erste Produktionsfirma Solaris Film. Zu Bernd Eichingers nationalen und internationalen Kinoerfolgen zählen u.a. "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" mit Regisseur Uli Edel, "Der Name der Rose" mit Regisseur Jean-Jacques Annaud, "Der Untergang" mit Regisseur Oliver Hirschbiegel, "Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders" mit Regisseur Tom Tykwer. Allein im deutschsprachigen Raum haben bisher mehr als 80 Millionen Besucher seine Produktionen im Kino gesehen.
AVIVA-Tipp: Zunächst ein Kompliment an die Verantwortlichen für das Casting: Die Besetzung ist sowohl vom optischen Gesichtspunkt als auch von seiner schauspielerischen Leistung bis in die kleinste Nebenrolle hervorragend ausgewählt worden. "Der Baader Meinhof Komplex" ist in seiner ausführlichen Darstellung letztendlich ein geeigneter Lehrfilm, den man Jugendlichen im Schulunterricht nicht vorenthalten sollte, jedoch setzt er einige Vorkenntnisse voraus, ohne die manche Zusammenhänge und auch namenlos bleibende Figuren unaufgeklärt bleiben. Wer über die bekannte Geschichte der RAF hinaus neue Erkenntnisse erwartet, wird enttäuscht. Trotz der Behauptungen des Regisseurs, den wahren Mörder Hanns-Martin Schleyers zu kennen, wird offen gelassen, wer letztendlich die tödlichen Schüsse abgegeben hat. Eine Glorifizierung der RAF bleibt, entgegen vieler Befürchtungen, jedoch aus. Ähnlich wie die Vorlage von Stefan Aust ist der Film bemüht, die Ereignisse aus einer neutralen Perspektive darzustellen, was ihm auch voll und ganz gelingt.
Der Baader Meinhof Komplex
im Verleih von Constantin Film
Deutschland, 2008
Regie: Uli Edel
Produktion und Drehbuch: Bernd Eichinger
DarstellerInnen: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Stipe Erceq, Niels Bruno Schmidt, Hannah Herzsprung, Jan Josef Liefers, Alexandra Maria Lara, Heino Ferch
Filmlänge: 150 Minuten
Kinostart: 25. September 2008